Zielsetzung
Bei Transmännern, die in einem Zeitraum von 20 Jahren eine Testosteron-Therapie nutzten, sollten die Prävalenz und Einflussfaktoren auf der Entwicklung von Erythrozytose sowie die zeitliche Beziehung zwischen Therapiedauer und Hämatokrit-Werten analysiert werden.
Patienten und Methoden
In die Nachbeobachtungsstudie wurden 1.073 Transmänner aus der Datenbank der Amsterdamer Kohorte einer Geschlechtsdysphorie-Studie eingeschlossen, die Testosteron-Therapie nutzten und bei denen das Hämatokrit überwacht worden war.
Studienkohorte
Beim Start der Hormontherapie waren die Teilnehmer median 22,5 (18,4–31,8) Jahre alt. Die Hämatokrit-Bestimmungen erfolgten während der Anwendung eines Testosteron-Gels (1.087 Messungen), unter kurzwirkenden Injektionen (1.826 Messungen), unter langwirkenden Undecanoat-Injektionen (345 Messungen) und 150 Messungen unter oralem Testosteron. Bei 2.120 weiteren Messungen war der Applikationsweg des Testosterons nicht bekannt.
Als die Entwicklung von Erythrozytose prädisponierende Vorerkrankungen lagen bei 8,6% der Transmänner chronische Lungenerkrankung (z.B. Asthma, COPD, chronische Bronchitis), Schlafapnoe und Polycythaemia vera vor.
Häufigkeit
Bei 24,0% der Transmänner trat ein Hämatokrit von >50% bei einer einzelnen Messung auf. Zwei solche Messungen kamen bei 11,1% der Transmänner vor. Hämatokrit-Werte von >52% wurden in dieser Kohorte bei 7,6% der Transmänner einmal und in 3,7% der Fälle zweimal gemessen. Der Anteil einmaliger Hämatokrit-Werte von >54% betrug 2,2% und der zweimal gemessenen 0,5%.
Abb. 1: Zeitlicher Bezug zwischen dem Hämatokrit und Dauer der Testosteron-Therapie.
Abb. 2: Nelson-Aalen-Kurven für das kumulative Risiko der Entwicklung von Hämatokrit-Werten >50% bzw. >52%. Beschränkt auf Teilnehmer, die Testosteron-Therapie nach 2004 begannen (Baseline-Hämatokrit-Werte lagen vor).
Risikofaktoren
Im Vergleich mit Testosteron-Gel, war die Anwendung langwirkender Undecanoat-Injektionen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für Hämatokrit-Werte >50% behaftet (Odds Ratio, OR 2,9). Bei der Injektion kurzwirkender Testosteron-Ester und bei oraler Applikation war die Wahrscheinlichkeit für Hämatokrit-Werte >50% vergleichbar mit Testosteron-Gel (ORs 1,1 bzw. 0,4).
Tabak-Konsum hatte verglichen mit Tabak-Abstinenz ein erhöhtes Risiko für Hämatokrit-Werte von >50% und >52%.
Auch höheres Alter beim Therapiebeginn mit Testosteron, Übergewicht und eine prädisponierende Anamnese standen mit hohen Hämatokrit-Werten in Verbindung.
Bei Nichterreichen der angestrebten Testosteronspiegel bestand nur ein geringes Risiko von Hämatokrit-Werten von >50% und >52%. Bei Überschreiten des Testosterons-Zielwerts war die Wahrscheinlichkeit beide Hämatokrit-Werte zu erreichen jeweils geringfügig erhöht.
Zeitlicher Bezug
Der zeitliche Bezug zwischen dem Beginn einer Testosteron-Therapie und der Entwicklung des Hämatokrit-Werts ist aus der Abbildung 1 ersichtlich. Der stärkste Anstieg des Hämatokrits erfolgte im ersten Jahr nach Einleitung der Testosteron-Therapie. Danach lässt sich über den 20-jährigen Beobachtungszeitraum ein allenfalls geringfügiger Anstieg erkennen. Abbildung 2 veranschaulicht die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines Hämatokrit-Werts >50% bzw. >52%. Für diese Subgruppenanalyse wurden 776 Transmänner herangezogen. Nach einem Jahr belief sich das kumulative Risiko, einen Hämatokrit-Wert >50% zu entwickeln, auf 8% und stieg danach über 38% nach 10 Jahren auf 50% zum Abschluss des Beobachtungszeitraums nach 14 Jahren an. Die kumulative Wahrscheinlichkeit, nach einem Jahr einen Hämatokrit-Wert >52% zu erreichen, betrug 4% und erhöhte sich nach 10 Jahren auf 16%.