Was ist bereits bekannt?
Bei Männern ist eine chronische obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) in 22% bis 69% der Fälle mit Hypogonadismus assoziiert. Ferner steht eine COPD mit mehreren anderen systemischen Manifestationen eines Testosteronmangels wie Osteoporose, Depression und Muskelschwäche in Verbindung [1].
Erkenntnisse zur Rolle von Testosteron bei der Infektion und im Krankheitsgeschehen
Testosteron bei der Infektion mit SARS-CoV-2
Bereits frühzeitig war erkannt worden, dass die Transmembran-Protease Serin 2 (TMPRSS2, ein androgenabhängiges Gen) und das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) als entscheidende Ziele für SARS-CoV-2 fungieren und dessen Aufnahme in die Wirtszelle begünstigen. Bei der Infektion des Alveolarepithels der Lunge bindet das SARS-CoV-2 über sein Spikeprotein an des ACE2. Dabei bedient sich das Virus des eigentlich lungenprotektiven Enzyms als Zugangswerkzeug in die Wirtszelle [2].
Dass das SARS-CoV-2 überwiegend Männer mit Symptomen infiziert, hängt mit der Modulation der TMPRSS2-Expression durch Testosteron zusammen [3]. TMPRSS2, das am häufigsten bei primärem Prostatakrebs modifizierte Gen, ist auch ein entscheidender Faktor bei der Infektion von Zellen mit SARS-CoV-2. Für eine schwere Infektion anfällige jüngere Männer ließen sich unter Umständen auf einen "hyperandrogenen Phenotyp" bei verkürzten Androgenrezeptor-CAG-Repeats zurückführen [4]. Andererseits wurde für Männer mit Prostatakrebs unter einer Androgendeprivationstherapie kein unterschiedliches Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 ermittelt [5].
Abb.: Plasma-Testosteronspiegel bei Covid-19-Patienten, gesunden Blutspendern (GBS) und Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) [7].
Testosteronmangel kennzeichnend für schwere Covid-19-Verläufe
Eine Reihe von Untersuchungen weist auf eine bedeutsame Rolle von Hormonen – insbesondere von Testosteron – während der Akutphase bei Covid-19-Patienten hin [6]. Bei Männern sind niedrige Testosteronspiegel häufig mit Adipositas, Typ-2-Diabetes (T2D), chronischer Nierenerkrankung, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und COPD assoziiert. Das sind allesamt Komorbiditäten bei Covid-19 mit beträchtlichem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf [6].
In einer an mehreren deutschen akademischen Institutionen durchgeführte Untersuchung zur geschlechterspezifischen Rolle der Sexualhormone bei der Covid-19-Pathophysiologie wurden schwerkranke Covid-19-Patienten und -Patientinnen mit gesunden Kontrollen und Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) als einer bedeutenden Covid-19-Komorbidität verglichen [7]. Der Plasma-Testosteronspiegel von Covid-19-Patienten war im Vergleich mit dem bei gesunden Kontrollen und auch dem bei KHK-Patienten signifikant erniedrigt (Abb.; p <0,0001 bzw. p=0,0399) [7]. Die meisten Covid-19-Patienten hatten Testosteronspiegel deutlich unter den klinischen Referenzwerten.
Bei Frauen waren die Plasma-Testosteronspiegel bei gesunden Blutspenderinnen, KHK-Patientinnen und Covid-19-Patienten weitgehend vergleichbar [7].
Sowohl bei Covid-19-Patienten als auch bei Covid-19-Patientinnen lagen erhöhte Östrogenspiegel vor (Östradiol und Östron) [7].
Schwere des Covid-19-Krankheitsverlaufs korreliert mit proinflammatorischen Zytokin- und Chemokinreaktionen
Vorklinische und klinische Untersuchungen haben wiederholt gezeigt, dass Hypogonadismus mit erhöhten Spiegeln an proinflammatorischen Zytokinen assoziiert ist, und dass der Spiegel von IL-1β, IL-6 und TNF-α bei einem Testosteronausgleich absinkt [8]. Eine durch SARS-CoV-2 hervorgerufene starke Entzündungsreaktion ist eine wesentliche Ursache für die Schwere des Krankheitsverlauf und Tod. In diesem Zusammenhang haben proinflammatorische Zytokine eine zentrale Rolle bei der Progression von COVID-19. Hohe Spiegel an IL-6, IL-8 und TNF-α im Serum zum Zeitpunkt der Hospitalisierung waren signifikante und unabhängige Prädiktoren für das Überleben der Patienten (p <0,0001, p=0,0205 bzw. p=0,0140) [9].
Kernaussagen
- Bei Männern stehen schwere Covid-19-Verläufe mit verminderten Androgen- und erhöhten Östrogenspiegeln in Verbindung.
- Erhöhte Spiegel an Östradiol stehen sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit Covid-19 in Verbindung.
- Bei Männern waren schwere Krankheitsverläufe von Covid-19 mit verstärkten Zytokin- und Chemokinreaktionen assoziiert, deren Auftreten mit Testosteronmangel im Zusammenhang steht.
Literatur:
[1] Balasubramanian V, Naing S. 2012. Hypogonadism in chronic obstructive pulmonary disease: incidence and effects. Curr Opin Pulm Med 18:112–117.
[2] Bhowmick NA, Oft J, Dorff T, et al. 2020. COVID-19 and androgen targeted therapy for prostate cancer patients. Endocr Relat Cancer 27:R281-R292.
[3] Stopsack KH, Mucci LA, Antonarakis ES, et al. 2020. TMPRSS2 and COVID-19: serendipity or opportunity for intervention? Cancer Discov 10:779-782.
[4] Pozzilli P, Lenzi A, 2020. Commentary: Testosterone, a key hormone in the context of COVID-19 pandemic. Metabolism 108: 154252.
[5] Klein EA, Li J, Milinovich A, et al. 2021. Androgen deprivation therapy in men with prostate cancer does not affect risk of infection with SARS-CoV-2. J Urol 205:441-443.
[6] Hackett G, Kirby M, 2020. Testosterone deficiency in men infected with COVID-19. Trends Urol Men's Health 11:7-10.
[7] Schroeder M, Schaumburg B, Müller Z, et al. 2020. Sex hormone and metabolic dysregulations 4 are associated with critical illness in male Covid-19 patients. medRxiv preprint doi: doi.org/10.1101/2020.05.07.20073817
[8] Mohamad NV, Wong SK, Wan Hasan WN, et al. 2019. The relationship between circulating testosterone and inflammatory cytokines in men. Aging Male 22:129–140.
[9] Del Valle DM, Kim-Schulze S, Huang H-H, et al. 2020. An inflammatory cytokine signature predicts COVID-19 severity and survival. Nat Med 26:1636–1643.