Geschlechtsinkongruenz – früher auch Transsexualität

Autor: Dr. Haiko Schlögl, Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Endokrinologie, Nephrologie, Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig


Überblick

Der Begriff Geschlechtsinkongruenz, auch Transsexualität genannt, bezeichnet die fehlende Übereinstimmung des angeborenen biologischen und des empfundenen Geschlechts.

Dabei bezeichnet man als trans-Frauen Personen, die im männlichen Geschlecht geboren wurden, sich aber als Frau empfinden und im weiblichen Geschlecht leben und anerkannt werden wollen.

Ein trans-Mann wurde im weiblichen Geschlecht geboren, identifiziert sich aber mit dem männlichen Geschlecht und will als Mann leben.

Bei Personen mit Geschlechtsinkongruenz besteht aufgrund des nicht zum empfundenen Geschlecht passenden Körpers ein deutlicher Leidensdruck (die sog. Geschlechtsdysphorie). Dies führt häufig zum Wunsch nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Aufgrund der Geschlechtsdysphorie haben Menschen mit Geschlechtsinkongruenz im Vergleich zur Gesamtbevölkerung u.a. eine erhöhte Rate an Suizidversuchen und Suiziden.

Eine Anpassung des Körpers an das empfundene Geschlecht kann durch eine geschlechtsangleichende Hormontherapie erfolgen. Dabei werden die Sexualhormone des empfundenen Geschlechtes (bei trans-Frauen Estradiol, bei trans-Männern Testosteron) gegeben und die Sexualhormone des angeborenen Geschlechtes unterdrückt. Dies führt zu einer Abnahme psychischer und körperlicher Symptome und einer Zunahme der Lebensqualität der betroffenen Personen1.

Begriffe der Transgender-Medizin

Cis-Person Person identifiziert sich und lebt in dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht
Dead Name (Engl.) Bei Geburt zugewiesener Vorname, der dann beim Wechsel auf das empfundene Geschlecht abgelegt wurde
Geschlechtsangleichende Hormontherapie Therapie mit den Geschlechtshormonen des empfundenen Geschlechts
Geschlechtsdysphorie Beschwerden aufgrund von Geschlechtsinkongruenz
Geschlechtsinkongruenz Fehlende Übereinstimmung zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht (d.h. dem genetischen Geschlecht) und dem wahrgenommenen Geschlecht
Nicht-binäre Person Person, die sich nicht in dem „Zweigeschlechter“ („binär“)-System Mann/Frau wiederfindet und sich weder als Mann noch als Frau identifiziert
Passing (Engl.) Beschreibt, wie gut man von anderen Personen im „neuen“, angestrebten Geschlecht gelesen wird
Trans-Frau Bei Geburt männliches Geschlecht/XY-Chromosomensatz, Identifikation als Frau, möchte als weibliche Person leben und anerkannt werden
Trans-Mann Bei Geburt weibliches Geschlecht/XX-Chromosomensatz, Identifikation als Mann, möchte als männliche Person leben und anerkannt werden
Transsexualität Ab 11. Version des Diagnosekatalogs (ICD-11): Geschlechtsinkongruenz

Voraussetzungen für geschlechtsangleichende Hormontherapie

Die geschlechtsangleichende Hormontherapie führt zu teilweise irreversiblen Veränderungen des Körpers. Voraussetzung zum Therapiebeginn ist daher die Diagnosesicherung der Geschlechtsinkongruenz und eine klare, schriftliche Indikationsstellung durch einen erfahrenen Psychologen/Psychologin oder Psychiater/Psychiaterin. Nur wenn andere Differentialdiagnosen, die zu Geschlechtsdysphorie führen können, ausgeschlossen wurden, und eine langanhaltende dauerhafte Ablehnung des angeborenen Geschlechts besteht, wird die Therapie durchgeführt1,2.

Feminisierende Therapie

Durchführung

Ziel der feminisierenden geschlechtsangleichenden Hormontherapie bei trans-Frauen ist das Erreichen von physiologischen (also „normalen“) weiblichen Estrogen-Konzentrationen im Blut.

Das führt zur Ausprägung der weiblichen äußeren Geschlechtsmerkmale: zur Brustentwicklung, weiblichen Fettverteilung, weicheren, dünneren Haut und Abnahme der männlichen Körperbehaarung (s. Tabelle 1). Die Behandlung erfolgt mit Estradiol (einem Estrogen) und ist in der Regel lebenslang.

Das Hormon Estradiol ist in Deutschland in den Verabreichungsformen Gel, Spray oder Pflaster, bei denen der Wirkstoff über die Haut aufgenommen wird, und in Tablettenform erhältlich. Das Risiko für Nebenwirkungen ist bei den über die Haut verabreichten Formen geringer als bei Tabletteneinnahme. Entsprechend den sinkenden Hormonspiegeln bei biologischen Frauen ab etwa dem Alter von 50 Jahren („Wechseljahre“) wird auch in der geschlechtsangleichenden Hormontherapie ab etwa diesem Alter nach Abschluss der Verweiblichung unter regelmäßiger Kontrolle schrittweise die Estradiol-Dosis reduziert. In der Regel wird die Behandlung mit einem Anti-Androgen, einem „Testosteronblocker“, meist Cyproteronacetat, kombiniert. Dieses Medikament liegt nur in Tablettenform vor und senkt die Spiegel der männlichen Geschlechtshormone im Körper.

Unter der Therapie kann es zu Nebenwirkungen kommen, die hauptsächlich den erhöhten Risiken für bestimmte Erkrankungen bei Frauen im Vergleich zu Männern entsprechen (siehe Tabelle 2).

Effekte

Tabelle 1: Effekte der feminisierenden geschlechtsangleichenden Hormontherapie inkl. der Zeit nach Therapie-Beginn, nachdem die ersten und die maximalen Therapie-Effekte erreicht werden

Muskulatur Abnahme der Muskelmasse und -kraft (Beginn nach 3-6 Monaten, max. Effekte nach 1-2 Jahren)
Haut Weichere Haut, Abnahme der Körper- und Gesichtsbehaarung (Beginn nach 6-12 Monaten, max. Effekte nach >3 Jahren)
Fettgewebe Umverteilung des Köperfetts zum weiblichen Fettverteilungsmuster: weniger „viszerales“ (im Bauchraum befindliches) Fettgewebe, mehr „subkutanes“ (Unterhaut)-Fettgewebe an Hüfte/Gesäß und Oberschenkeln (Beginn nach 3-6 Monaten, max. Effekte nach 2-5 Jahren)
Brust Wachstum der weiblichen Brust (Beginn nach 3-6 Monaten, max. Effekte nach 2-3 Jahren)
Männliche Geschlechtsteile Abnahme des Hodenvolumens mit Rückgang der Spermienproduktion (Beginn nach 3-6 Monaten, max. Effekte nach 2-3 Jahren), Abnahme spontaner Erektionen (Beginn nach 1-3 Monaten, max. Effekte nach 3-6 Monaten)
Sexualität Abnahme der Libido (Beginn nach 1-3 Monaten, max. Effekte nach 1-2 Jahren)


Nebenwirkungen

Tabelle 2: Nebenwirkungen der feminisierenden geschlechtsangleichenden Hormontherapie mit Estradiol und Cyproteronacetat bei trans-Frauen3

Gefäßsystem Erhöhung des Risikos für Thrombosen („Blutgerinnsel“)
Körpergewicht Gewichtszunahme
Leber Erhöhung der Leberwerte
Hoden Abnahme der Spermienproduktion, Unfruchtbarkeit
Brust Nach Wachstum der Brust weibliches Risiko für Brustkrebs
Gehirn Unter Cyproteronacetat bisher vereinzelt (wenige Fälle weltweit) Bildung von Meningeomen (gutartigen Hirntumoren)

Maskulinisierende Therapie

Durchführung

Ziel der maskulinisierenden geschlechtsangleichenden Hormontherapie ist die Erreichung von „physiologischen“ (normalen) männlichen Testosteronspiegeln.

Dies führt zur Ausprägung der männlichen sekundären Geschlechtsmerkmale wie vermehrte Behaarung, eine männlich-tiefe Stimme, dickere Haut, Muskelaufbau, männlicher Körperbau/Fettverteilung und zu einem Aussetzen der Regelblutung. Die erzielten körperlichen Veränderungen sind teilweise irreversibel, d.h. können nicht mehr rückgängig gemacht werden (siehe Tabelle 3).

Die Behandlung erfolgt langfristig, in der Regel lebenslang, mit Testosteron. Zugeführt wird es entweder in Form einer Depotspritze, die intramuskulär ca. einmal alle 3 Monate verabreicht wird, oder als Gel, das täglich auf die Haut aufgetragen wird.

Unter der Therapie kann es zu Nebenwirkungen kommen, die hauptsächlich den erhöhten Risiken für bestimmte Erkrankungen bei Männern im Vergleich zu Frauen entsprechen (siehe Tabelle 4).

Effekte

Tabelle 3: Effekte der maskulinisierenden geschlechtsangleichenden Hormontherapie inkl. der Zeit nach Therapie-Beginn, nachdem die ersten und die maximalen Therapie-Effekte erreicht werden3

Körper- und Gesichtshaare Zunahme der Gesichts- und Köperbehaarung (Beginn nach 3-6 Monaten, max. Effekte nach 3-5 Jahren)
Stimme Verlängerung der Stimmbänder und dadurch Vertiefung der Stimme (Beginn nach 3-12 Monaten, max. Effekte nach 1-2 Jahren)
Muskulatur Zunahme der Muskelmasse und -kraft (Beginn nach 6-12 Monaten, max. Effekte nach 2-5 Jahren)
Fettgewebe Umverteilung des Köperfetts zum männlichen Fettverteilungsmuster: weniger sog. „subkutanes“ (Unterhaut-) Fettgewebe an Hüfte/Gesäß und Oberschenkeln, mehr sog. „viszerales“ (im Bauchraum befindliches) Fettgewebe (Beginn nach 3-6 Monaten, max. Effekte nach 2-5 Jahren)
Haut Dickere, festere Haut
Uterus Aussetzen der Menstruation (kann bereits nach 2-6 Monaten auftreten, aber sehr variabel)
Vagina Vergrößerung der Klitoris (Beginn nach 3-6 Monaten, max. Effekte nach 1-2 Jahren)


Nebenwirkungen

Tabelle 4: Nebenwirkungen der maskulinisierenden geschlechtsangleichenden Hormontherapie mit Testosteron bei trans-Männern3

Sog. „kardiovaskuläres“ (Herzinfarkt/Schlaganfall) Risiko Erhöhung, vom weiblichen zum männlichen Risiko
Körpergewicht Gewichtszunahme
Haut Akne (Beginn nach 1-6 Monaten, max. nach 1-2 Jahren)
Kopfbehaarung Haarausfall am Kopf nach männlichem Haarausfallmuster
Blut Zunahme Anzahl roter Blutkörperchen (Angleichung an die männlichen Normal-Werte)
Leber Erhöhung der Leberwerte
Eierstöcke Unfruchtbarkeit
Vagina Austrocknen der Scheide mit der Gefahr von Harnwegs- und Blasenentzündungen
  1. Meyer G, Boczek U, Bojunga J (2020) Geschlechtsangleichende Hormontherapie bei Geschlechtsinkongruenz. Dtsch Arztebl Int. 117:725-732.

  2. Nieder TO, Strauß B (2019) S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung im Kontext von Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit. Z Sex Forsch 32:70-79.

  3. Coleman E, Radix AE, Bouman WP, et al. (2022) Standards of Care for the Health of Transgender and Gender Diverse People, Version 8. Int J Transgend Health 23(Suppl 1):S1-S259.

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